Am Sonntag steht das 3. Treffen beim Weihnachtskleid Sew Along an. Alle wollen Fortschritte zeigen und am besten gelungenen Probemodelle aufweisen.
Soweit der Plan. In der Realität befinde ich mich jedoch gerade in einem nähtechnischen Parallel-Universium und meine
Weihnachtskleid-Pläne passen da überhaupt nicht hinein.
Mein Näh-Ich ruft nach Paspeltaschen, Blazern, einem vollendeten Blusenkragen, Blusenärmeln mit Kapellenschlitz und perfekten Sportmanschetten. Die Bluse am besten in kräftigem Flieder mit einem leicht strukturierten Stoff.... Hach, das würde ich jetzt wirklich gern nähen.
Die Pläne für mein Weihnachtsoutfit -Wickelbluse, Satinrock- was war das nochmal?
Um es vorweg zu nehmen, ich bin nicht krank oder mit unerlaubten Substanzen in Kontakt gekommen.
Ich haben zwei Tage in Köln verbracht.
Sebastian Hoofs, Ende 20, ist ein überaus sympatischer, fachkundiger und aufgeschlossener Maßschneider in Köln der sein Wissen mit Hobbyschneidern teilt. Dafür bietet er
regelmäßig Kurse an oder auch Einzelcoachings.
Letzte Woche von Donnerstag nachmittag 15 Uhr bis Freitag 18 Uhr war ich in meinem persönlichen Nähhimmel. Ein Profi nimmt sich Zeit nur für mich und zeigt mir die Dinge bei denen ich mit meinen bisherigen Ergebnissen nur mäßig zufrieden war.
Es war großartig! (Aber gefährlich für meine Weihnachtskleid-Pläne).
Das Programm war knackig für 1,5 Tage:
Paspeltaschen für Blazer
Ärmel einsetzten mit Ärmelfischen und Schulterpolster für Blazer
Kapellenschlitz für Hemden und Blusen
Hemden/Blusenmanschetten sauber annähen
perfekte Hemd/Blusenkragen annähen
Kontrolle, ob der Kragen sich schön legt und gleichmäßig gearbeitet ist.
Konkret lief es so ab, dass mir Sebastian an meinen vorbereiteten Stücken (Herrenhemd, Blazer) die Dinge gezeigt hat und ich dann das jeweilige Gegenstück selber gearbeitet habe. Ein Blazer braucht nunmal zwei Paspeltaschen, hat zwei Ärmel, genau wie das Herrenhemd und auch ein Hemdkragen hat zwei Ecken und Enden...
Verstürzen des Hemdkragens am Halsausschnitt
Während ich steckte, heftete, mit der Maschine nähte ... stand bzw. saß Sebastian neben mir und hat geschaut, ob ich alle Schritte richtig ausführe. Aufmerksam, aber unaufdringlich und immer rechtzeitig mit einem guten Tipp, damit alles gelingt. Bei dieser 1:1 Betreuung sind gute Ergebnisse garantiert und es schleifen sich gar nicht erst Ungenauigkeiten ein. Das war echt klasse und viel mehr Aufmerksamkeit für meine Nähstücke, als ich im Vorfeld erwartet habe.
Ärmel- und Seitennaht werden als Kappnaht geschlossen, das ist etwas frickelig.
Etliche Fragezeichen in meinem Kopf haben sich aufgelöst und ich fühle mich für die nächsten Nähprojekte gut gerüstet.
Welche Einlage für einen Hemdkragen? Am besten zwei mit unterschiedlicher Stärke.
Kommt die Einlage auf den Ober- oder den Unterkragen? Den Oberkragen.
Kragensteg im Nahtschatten absteppen oder knappkantig? Knappkantig und nochmal 0,5 cm daneben.
Sehr ordentliche Steppnähte am Kragen.
Wie verhindere ich, dass Paspeltaschen ausreißen? Handgenähte Riegel für das letzte Finish.
In welcher Ausrichtung wird der Ärmelfisch eingenäht? Mit dem hellen Lappen nach vorn und gleichzeitig mit dem Ärmel
Wie gelingen perfekte Übergänge am Hemdkragen und an den Manschetten? Mit der Hammerhai-Methode!
.... so könnte ich die Liste der Fragen eine ganze Weile weiterführen.
Verstürzen der Manschette - die Hammerhai-Methode ;-)
Bildquelle: Wikipedia
Bei Sebastian im Atelier herrscht ein wunderbare Stimmung. Mitarbeiterin Laura ist genauso freundlich- kompetent wie Sebastian selbst. Es geht fröhlich und herzlich zu, trotzdem wird konzentriert gearbeitet. Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen, da fühlt man sich gleich aufgenommen in die Nähfamilie.
Als am ersten Tag die Paspeltaschen vollendet waren und der Blazer seine Ärmel hatte, schlug die Uhr schon 21:45 Uhr. Wow wie die Zeit vergeht! Und unglaublich welches Pensum Sebastian da leistet. Am nächsten Tag saß er nämlich ab 7:30 Uhr schon wieder im Atelier, während ich erst gegen 9 Uhr aufschlug.
Der Profi sagt, dass es nicht so viele Nadeln zum stecken braucht, weil ohnehin vor dem Nähen geheftet werden sollte.
Freitag abend saß ich mit unglaublich vielen Eindrück im Zug Richtung Hamburg und versuchte die vielen neuen Infos und Nähtechniken zu sortieren, machte Notizen für die ich vorher keine Zeit hatte und freute mich unbändig über das viele neue Wissen, das ich mitnehmen konnte.
Ich habe bisher immer einen großen Bogen um Nähkurse oder Schulungen gemacht, weil ich genug mittelmäßige Erfahrungen bei verschiedenen anderen Fachthemen gesammelt habe.
Der besondere Ansatz bei den Angeboten von Sebastian Hoofs ist meiner Meinung nach die Art und Weise wie die "Schüler" gesehen werden. Es heißt nicht "die Paspeltasche muss so oder so genäht werden" sondern vielmehr "diese Methode nutzen wir und für uns hat es sich bewährt". Es gibt kein Methoden-Dogma und den Anspruch auf Weltherrschaft sondern die Weitergabe von Erfahrungen in einer offenen Atmosphäre. Es heißt auch nicht "1,5 cm Nahtzugabe sind zuviel" - sondern "Ok der Schnitt hat 1,5 Nahtzugabe, dann müssen wir hier kurz umdenken und umrechnen, damit es funktioniert. So macht Lernen Spaß!
Die Paspeln an der Webkante zuschneiden, das minimiert die Anzahl der Stoffschichten.
Und das
Weihnachtskleid? Ich werde mein nähtechnisches
Paralell-Universium verlassen und umgehend die weißen Wickelbluse in Angriff
nehmen.
Das pinke Probemodell ist vielversprechend beendet.
Glück hat hingegen das Herzblatt - er profitiert ganz unmittelbar von meinem tollen Kurs, sein neues Hemd war mein Arbeitsmodell in Köln und hat nun unglaublich schöne Ärmelschlitze, Manschetten und einen perfekten Kragen.
Knöpfe und Saum schaffe ich locker bis Weihnachten.